Der deutsche Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 8.3.2022 – VI R 37/19 – entschieden, dass eine Zustellung von deutschen Einkommensteuerbescheiden an einen in der Schweiz wohnhaften Steuerpflichtigen unmittelbar durch die Post völkerrechtlich erstmals für die Besteuerungszeiträume ab dem 1.1.2018 zulässig ist.
Die Wirksamkeit eines Steuerbescheids setzt u. a. die Bekanntgabe an den Steuerpflichtigen oder an dessen Bevollmächtigten voraus. Innerhalb Deutschlands wird ein Steuerbescheid grundsätzlich durch einen einfachen Brief dem Steuerpflichtigen bekannt gegeben. Ist die Zustellung durch die Post an den Steuerpflichtigen nicht möglich, erfolgt sie durch öffentliche Bekanntmachung mittels Aushanges im Finanzamt.
Vor dem 1.1.2018 war eine Zustellung an Empfänger im Ausland nur durch sog. «öffentliche Bekanntmachung» möglich. Damit erhielt aber in der Regel der Empfänger des Bescheides im Ausland keine Kenntnis von der Zustellung mit der Folge, dass die Bescheide nach einer bestimmten Zeit rechtskräftig wurden und Rechtsmittel gegen sie nicht mehr eingelegt werden konnten.
Im Streitfall, den der BFH zu entscheiden hatte, befand sich der einzige Wohnsitz des Klägers seit 2013 nur noch in der Schweiz. In den Jahren 2009 bis 2013 wurde er zusammen mit seiner Ehefrau steuerlich veranlagt. Jedoch beantragte seine Ehefrau im Nachhinein für die Jahre 2009 bis 2012 die getrennte Veranlagung und für 2013 die Einzelveranlagung. Daraufhin hob das Finanzamt im Jahr 2017 die Zusammenveranlagungsbescheide für 2009 bis 2013 auf. Der Kläger hatte keinen Bevollmächtigten in Deutschland. Das Finanzamt ordnete im April 2017 die öffentliche Zustellung der Aufhebungsbescheide sowie der Einkommensteuerbescheide (getrennte Veranlagung bzw. Einzelveranlagung) für den Kläger an. Die Benachrichtigungen über die öffentliche Zustellung wurden am 25.4.2017 im Finanzamt ausgehängt und am 10.5.2017 wieder abgenommen. Der Kläger wurde mit Schreiben vom 25.4.2017 über die öffentliche Zustellung informiert. Der Kläger hielt die Bescheide wegen fehlerhafter Bekanntgabe für unwirksam.
Der Bundesfinanzhof wies die Klage des Klägers mit folgender Begründung ab:
- Die Zustellung eines Steuerbescheids durch öffentliche Bekanntmachung ist zulässig, wenn die Zustellung im Ausland unmittelbar durch die Post völkerrechtlich nicht zugelassen ist oder keinen Erfolg verspricht.
- Aufgrund des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen konnte zwischen der Schweiz und Deutschland erst für Besteuerungszeiträume ab dem 1.1.2018 eine Zustellung in der Schweiz durch die Post bewirkt werden.
- Im vorliegen Fall war eine Zustellung für Besteuerungszeiträume vor 2018, nämlich 2009 bis 2013, durch die Post in der Schweiz noch nicht möglich. Eine öffentliche Zustellung war somit zulässig. Die öffentliche Zustellung ist formell ordnungsgemäss erfolgt, so dass die Bescheide gegenüber dem Kläger wirksam geworden sind.
Der BFH bestätigte damit in seiner Entscheidung die Auffassung der deutschen Finanzverwaltung, dass die Zustellung von deutschen Steuerverwaltungsakten durch die Post für Besteuerungszeiträume ab dem 1.1.2018 für die folgenden Steuerarten zulässig ist: Einkommensteuer (einschliesslich Lohnsteuer, Kapitalertragssteuer, Zinsabschlag, Steuerabzug bei Bauleistungen und besonderen Erhebungsformen nach § 50a EstG), Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag, Vermögenssteuer, Gewerbesteuer sowie gesonderte und gesonderte einheitliche Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen für Zwecke der vorgenannten Steuern.
Wer beim Wegzug aus Deutschland ins Ausland sichergehen möchte, dass ihm Verwaltungsbescheide innerhalb der Einspruchsfrist auch zugehen, sollte einen Empfangsbevollmächtigten in Deutschland bestellen. Damit werden Probleme bei der Bekanntgabe vermieden, und die Bescheide können fristgerecht angefochten werden. Es bleibt zwar der Einwand möglich, dass der Bescheid unwirksam ist. Es droht aber die Versäumnis der Einspruchsfrist, wenn die Bekanntgabe als wirksam angesehen wird und kein Einspruch eingelegt worden ist.