Grenzenlos Recht Rolf Lüpke Rechtsanwalt MAES

Mandantenbrief

Fast unbemerkt vom Streit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) über die schweizerischen flankierenden Massnahmen im Entsendegesetz und den Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen zur Einführung eines Streitschlichtungsmechanismus zur Lösung solcher Konflikte, hat Ende Mai die EU ein Gesetzgebungsverfahren zur Verschärfung der Entsenderichtlinie aus dem Jahre 1996 verabschiedet. Davon werden auch zukünftig Schweizer Arbeitgeber betroffen sein, die Mitarbeiter aus der Schweiz in die EU entsenden. Ein entsandter Arbeitnehmer ist ein Arbeitnehmer, den sein Arbeitgeber in einen anderen Staat schickt, um dort während eines begrenzten Zeitraums eine Dienstleistung zu erbringen. Sie müssen entsprechende Meldepflichten gegenüber den zuständigen ausländischen Behörden erfüllen.

In diesem Zusammenhang ist ebenfalls neu, dass ab 1.1.2019 sog. A1-Entsendebescheinigungen hinsichtlich der Anwendung der Sozialversicherungsvorschriften des Wohnsitzstaates des Arbeitnehmers nur noch auf elektronischem Wege beantragt werden können. Von diesem Zeitpunkt an sind Antragsvordrucke in Papierform nicht mehr zulässig. Nachfolgend sollen die Neuregelungen näher dargestellt werden.

Reform der Entsenderichtlinie (91/76/EG)

Bislang sieht die EU-Entsenderichtlinie 96/71/EG nur vor, dass entsendende Unternehmen einige Mindeststandards, zum Beispiel den Mindestlohn oder Mindestruhezeiten in dem jeweiligen Aufnahmestaat einhalten müssen. Tatsächlich kommt es jedoch oft zu Einkommensunterschieden und einer Wettbewerbsverzerrung, da die tatsächlichen Standards für die Arbeitnehmer vor Ort beispielsweise durch tarifliche Vorgaben höher sind.

Die nun beschlossenen Änderungen der Entsenderichtlinie, die bis 2020 von den europäischen Mitgliedstaaten umzusetzen sind, sollen dieser Entwicklung entgegenwirken und Lohn- und Sozialdumping effektiv verhindern. Folgende Änderungen sind beschlossen worden:

  • Entsendende Unternehmen sind für die Vergütung ihrer entsandten Arbeitnehmer an sämtliche Vergütungsvorschriften im Aufnahmestaat gebunden. Dies gilt nicht nur für Vergütungsvorschriften in Gesetzen, sondern auch für Vergütungsregelungen in für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen. Entsandte Arbeitnehmer erhalten somit ab dem ersten Tag den gleichen Tariflohn wie ihre Kollegen im Aufnahmestaat.
  • Einbezogen sind sämtliche Vergütungsbestandteile wie Prämien und Zulagen, wenn sie in gesetzlichen Regelungen oder in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen festgelegt sind. Entsandte Arbeitnehmer erhalten nach Mass gabe der jeweiligen Regelung ebenso wie vergleichbare lokale Arbeitnehmer Weihnachtsgeld, Schlechtwettergeld, Mobilitätsbeihilfen etc.
  • Entsendungen sind künftig auf 12 Monate begrenzt und können auf maximal 18 Monate verlängert werden. Nach Ablauf dieser Frist gelten die gesamten verbindlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Aufnahmestaat für entsandte Arbeitnehmer. Davon ausgenommen sind lediglich Vorschriften zur Begründung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen und der betrieblichen Altersversorgung.
  • Wird ein entsandter Arbeitnehmer durch einen anderen ersetzt, der die gleiche Tätigkeit am gleichen Ort ausführt, so wird die Entsendungsdauer der einzelnen Arbeitnehmer addiert. Eine Umgehung der Frist von 12 Monaten durch den roulierenden Austausch von Mitarbeitern ist somit nicht möglich.
  • Reise-, Verpflegung- oder Unterbringungskosten im Aufnahmestaat dürfen zukünftig nicht mehr vom Lohn des Arbeitnehmers abgezogen werden. Vielmehr soll der Arbeitgeber diese Kosten übernehmen und sicherstellen, dass die Unterbringung seiner Arbeitnehmer angemessen erfolgt.

Die Mitgliedstaaten haben jetzt 2 Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Auch wenn die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie dazu verpflichtet sind, alle die Entlohnung ausmachenden Bestandteile und die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen transparent darzustellen und zu veröffentlichen, werden rechtskonforme Entsendungen künftig jedenfalls mit einem deutlich erhöhten bürokratischen Aufwand verbunden sein, dessen Bewältigung insbesondere Unternehmen mit kleinen Personalabteilungen vor eine Herausforderung stellen wird.

Maschinelles Antrags- und Bescheinigungsverfahren A1 für Arbeitgeber

Für eine Person, die im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses vorübergehend von ihrem Arbeitgeber im Ausland eingesetzt wird, gelten in der Regel nach Artikel 12 Absatz 1 VO (EG) Nr. 883/2004 weiterhin die Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit ihres Wohnssitzstaates. Gleiches gilt für Selbstständige, die im Rahmen ihrer gewöhnlich in Deutschland ausgeübten Selbstständigkeit vorübergehend im Ausland tätig sind. In diesen Fällen werden Entsendebescheinigungen (z. B. innerhalb Europas die Bescheinigung A1) von den zuständigen Sozialversicherungsträgern ausgestellt. Darin wird den Arbeitnehmern bescheinigt, dass weiterhin die Vorschriften der Sozialen Sicherheit ihres Wohnsitzstaates für sie anwendbar sind und sie im ausländischen Tätigkeitsstaat keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen.

Bisher konnte der Antrag auf Ausstellung einer A1 Bescheinigung in Papierform vom Arbeitgeber bei dem zuständigen Sozialversicherungsträger am Wohnsitz des Arbeitnehmers bzw. Firmensitz des Arbeitgebers gestellt werden. Seit dem 1.1.2018 ist auch die elektronische Antragstellung möglich.

Elektronisches Verfahren in Deutschland

Der Antrag auf Ausstellung einer A1-Bescheinigung für einen entsandten Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber im Rahmen des elektronischen Antrags- und Bescheinigungsverfahrens nach § 106 Sozialgesetzbuch (SGB IV) mittels systemgeprüfter Abrechnungsprogramme oder einer maschinellen Ausfüllhilfe an die jeweils zuständige Stelle (Krankenkasse, Rentenversicherungsträger, Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen) übermittelt werden. Dieses Verfahren ist ebenfalls für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes anwendbar.

Bei der elektronischen Antragstellung handelt es sich bis 31.12.2018 um eine Option, sodass bis zu diesem Datum die Antragstellung mittels der bisherigen Papiervordrucke vorerst weiterhin möglich bleibt. Zum 01.01.2019 wird das elektronische Antragsverfahren verpflichtend. In begründeten Einzelfällen ist bis zum 30.06.2019 eine papiergebundene Antragstellung weiterhin möglich.

Wenn Sie als Arbeitgeber mit Firmensitz in Deutschland ein systemgeprüftes Abrechnungsprogramm einsetzen und Ihr Softwarehersteller die oben beschriebene Übermittlungsmöglichkeit bereits implementiert hat, können Sie den Antrag auf Ausstellung einer A1-Bescheinigung für entsandte Arbeitnehmer hierüber direkt online stellen.

Nutzen Sie ein solches Programm nicht, so hat die Informationstechnische Servicestelle der Gesetzlichen Krankenversicherung GmbH (ITSG) eine entsprechende Ausfüllhilfe seit 01.07.2018 im Internet (http://www.itsg.de/oeffentliche-services/sv-net/) zur Verfügung gestellt.

Elektronisches Verfahren in der Schweiz

Um die Versicherungspflicht von im Ausland tätigen Mitarbeitenden schnell und unkompliziert abklären zu können, steht den Arbeitgebern das vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) ins Leben gerufene Portal ALPS zur Verfügung. ALPS steht für Applicable Legislation Platform Switzerland und ermöglicht den Arbeitgebern, Entsendungsanträge oder Abklärungen für Personen, die in mehreren Staaten erwerbstätig sind, online zu erfassen. Die Erfassung eines Falls auf ALPS löst bei der Ausgleichskasse automatisch einen Prozess aus und macht es so möglich, dem Arbeitgeber innert kürzester Zeit die benötigte Bescheinigung (z. B. A1) auf ALPS zum Download zur Verfügung zu stellen.

Als künftige Schnittstelle zum europäischen IT-System EESSI (Electronic Exchange of Social Security Information) wird ALPS künftig einen wichtigen Beitrag zur korrekten Erfüllung der Versicherungspflicht leisten. Die Vorteile von ALPS sind:

  • Der Arbeitgeber kann Anträge und Anmeldungen online in ALPS erfassen und direkt an die Ausgleichskasse übermitteln.
  • Bestätigungen oder Ablehnungen der Weiterversicherung übermittelt die Ausgleichskasse in ALPS. Der Arbeitgeber wird per E-Mail über neue Dokumente in ALPS informiert.
  • Für begleitende Familienangehörige von international tätigen Mitarbeitenden steht das notwendige Antragsformular für die Weiterversicherung in ALPS zur Verfügung.
  • Falls die Ausgleichskasse oder das Bundesamt für Sozialversicherungen Zusatzinformationen zu einem Antrag benötigt, läuft die Kommunikation direkt über ALPS.
  • ALPS funktioniert ortsunabhängig und der Arbeitgeber kann jederzeit den aktuellen Bearbeitungsstand seiner Meldung nachverfolgen.
  • Die Anträge können jederzeit dupliziert werden. Zudem stellt ALPS eine elektronische und lückenlose Dokumentation sicher.

Man kann unter folgenden Link auf ALPS gelangen: https://www.alps.bsv.admin.ch/alps

Sie müssen sich vorab auf der angegebenen Webseite als Benutzer registrieren, um ein Schweizer-Login zu erhalten. Die Ausgleichskasse erfasst anschliessend in ALPS die Unternehmung sowie mindestens einen Administrator. Dieser kann weitere Benutzer-Berechtigungen innerhalb der Unternehmung selbstständig erteilen.

Fazit

Diese kurze Darstellung des EU-Entsenderechts hat gezeigt, dass es sich um eine komplexe Materie handelt. Eine Entsendung von Mitarbeitern oder als Selbständiger sollte deshalb gut und rechtzeitig geplant werden, um nicht durch Sanktionen der zuständigen Behörden im Tätigkeitsstaat an der Durchführung des Projekts behindert zu werden. Für die notwendigen Nachweise und gegebenenfalls Bewilligungen und die Vermeidung zusätzlicher Kosten gilt es eine Vielzahl ausländer-, arbeits- , sozialversicherungs- und steuerrechtliche Vorschriften zu beachten.

Rechtsanwalt Rolf Lüpke berät Sie umfassend zu allen Fragen der grenzüberschreitenden Entsendung von Mitarbeitern oder selbständig Erwerbstätigen

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