Grenzüberschreitend tätige Unternehmen erbringen häufig im Rahmen längerfristiger Projekte durch den Einsatz von Personal Dienstleistungen in den Räumen ihres ausländischen Kunden. Hierbei kann es sich z. Bsp. um die Implementierung neuer IT-Strukturen, Schulungs- oder Beratungs- sowie interimistische Managementleistungen direkt im Unternehmen des Kunden handeln, welche sich über mehrere Wochen oder Monate hinziehen können. Häufig wird dabei im Vorfeld des Projektes übersehen, dass die Erbringung von Dienstleistungen in den Räumen des Kunden zur Begründung einer ertragssteuerlichen Betriebsstätte mit der Konsequenz führen kann, dass die im Ausland durch den Kundenauftrag erzielten Einkünfte auch dort zu versteuern sind. Am Beispiel des für Schweizer Unternehmen wichtigen deutschen Marktes soll nachfolgend die Auffassung der deutschen Finanzrechtsprechung und der Steuerverwaltung dargestellt werden.
Rechtliche Voraussetzungen nach dem Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-Deutschland (DBA)
Bei der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen in Deutschland hat die deutsche Finanzverwaltung als sog. „Quellenstaat“ der dort erzielten Einkünfte nach Art. 7 Abs. 1 S. 2 DBA nur dann ein Besteuerungsrecht, wenn vor Ort eine Betriebsstätte nach Art. 5 DBA begründet wurde. Art. 5 Abs. 1 DBA definiert die Betriebsstätte als „feste Geschäftseinrichtung, durch die die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird.“ Tatbestandsmerkmale sind somit
- die Geschäftseinrichtung,
- die „fest“ im Sinne einer örtlichen Fixierung und zeitlichen Mindestdauer sein muss und
- durch die die Tätigkeit des Unternehmens zumindest teilweise ausgeübt wird und
- über die der Unternehmer eine gewisse Verfügungsmacht haben muss.
Ähnlich ist auch die Definition in § 12 S. 1 der deutschen Abgabenordnung, wonach „Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage ist, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient.“ Werden langfristig (über mehr als sechs Monate) Dienstleistungen in den Räumen des Kunden erbracht, kommt dem Tatbestandsmerkmal „Verfügungsmacht“ damit entscheidende Bedeutung zu.
Kriterien der deutschen Rechtsprechung für das Vorliegen einer Betriebsstätte
Für den deutschen Bundesfinanzhof (BFH) ist in seiner Entscheidung vom 4.6.2008 – I R 30/07 – Voraussetzung für das Vorliegen einer Betriebsstätte, dass der Unternehmer eine gewisse, nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht über die betreffende Einrichtung besitzt. Dafür ist grundsätzlich erforderlich, dass er eine Rechtsposition innehat, die ohne seine Mitwirkung nicht ohne weiteres beseitigt oder verändert werden kann. Ob diese Rechtsposition auf Eigentum oder auf einer entgeltlichen bzw. unentgeltlichen Nutzungsüberlassung beruht, ist gleichgültig. Die blosse Berechtigung zur Nutzung eines Raumes im Interesse eines anderen sowie eine rein tatsächliche Nutzungsmöglichkeit genügen jedoch nicht. Die Rechtsposition muss weder ausdrücklich vereinbart noch auf einen bestimmten Raum oder Arbeitsplatz bezogen sein; es genügt vielmehr, wenn aus tatsächlichen Gründen anzunehmen ist, dass dem Unternehmer irgendein für seine Tätigkeit geeigneter Raum zur ständigen Nutzung zur Verfügung gestellt wird.
Dies hat der BFH auch schon früher in einer Entscheidung v. 28.6.2006 – I R92/05 – dahingehend konkretisiert, dass es zwar nicht erforderlich sei, dass eine feste Einrichtung dauernd benutzt werde, sie müsse jedoch – auch während der Abwesenheit des Unternehmers – dazu bestimmt sein, der jeweiligen Berufstätigkeit zu dienen. In dem entschiedenen Fall stellte der BFH klar, dass Verfügungsmacht nur dann vorliege, wenn für den Berater ständig ein Projektbüro vorgehalten werde, das auch in seiner Abwesenheit nicht anderweitig (bspw. von anderen Beratern) genutzt werde.
Auffassung der deutschen Finanzverwaltung
Dem BFH folgt ebenfalls die deutsche Finanzverwaltung. Die Oberfinanzdirektion Münster vertritt mit Bezug auf das BFH-Urteil v. 4.6.2008 mit ihrer Verwaltungsanweisung vom 9.7.2010 – S 1300-248-St45-32 – die Meinung, dass ausländische Pflegekräfte, die im Haushalt der zu pflegenden Person untergebracht sind, dort keine Betriebsstätte begründen. Die Oberfinanzdirektion Karlsruhe stellt in ihrer Verwaltungsanweisung vom 16.9.2014 – S 130.1/316-St222 – klar, dass allein ein fest zugewiesener Schreibtisch (auch im Grossraumbüro) in den Räumen des Auftraggebers keine Betriebsstätte begründen. Nicht auszuschliessen ist aber, dass die Oberfinanzdirektion bei der Zuweisung konkret abgrenzbarer Räume Verfügungsmacht annehmen würde.
Folgerung
Die auftragsgemässe Erbringung von Dienstleistungen (im Wege eines Dienst- oder Werkvertrags) in den Räumen des Kunden reicht zur Begründung einer Betriebsstätte des Auftragnehmers nicht aus. Denn insoweit kann der Dienstleister nie einen eigenständigen Anspruch auf Zutritt zu den Räumen seines Auftraggebers begründen und bleibt „Gast“ im Unternehmen seines Kunden. Es müssen vielmehr zusätzliche Umstände hinzutreten, die auf eine örtliche Verfestigung schließen lassen. Das reine Tätigwerden in den Räumen des Kunden begründet keine Verfügungsmacht. Denn soweit der Dienstleister nur zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten dort tätig werden soll, hat der Dienstleister keinen eigenständigen Anspruch auf Zutritt. Es besteht vielmehr nur eine Obliegenheit des Kunden, Zutritt zu seinen Räumen zu gewähren.
Eine Betriebsstätte wird erst dann begründet, wenn der Dienstleister von den Räumen des Kunden aus auch Dritten gegenüber tätig wird oder dort seinen übrigen betrieblichen Angelegenheiten wie ein „Unternehmen im Unternehmen“ nachgehen darf. Als Beispiel hierfür kann der Betreiber einer Betriebskantine angeführt werden, der seine Leistungen auch gegenüber dritten Kantinenbesuchern anbietet oder der Versicherungsvermittler, der in den Räumen einer Versicherungsagentur auch nach Aussen mit seiner Visitenkarte und seiner dort angegebenen Kontaktadresse der Versicherungsagentur gegenüber den Versicherungsnehmern auftritt.
Dagegen begründet ein selbständiger EDV-Berater keine Betriebsstätte in den Räumen seines einzigen Kunden, auch wenn ihm dort ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, er aber seinen eigenbetrieblichen Belangen (z. Bsp. Postbearbeitung, Schriftverkehr, Programmentwicklung) nicht von dort, sondern nur von seinem Home Office aus nachgehen darf. Das gilt auch für einen selbständigen Steuerberater, der in den Räumen seines Hauptauftraggebers, z. Bsp. eines anderen Steuerberaters, zwar regelmässig den gleichen Arbeitsplatz benutzen darf, dort aber nicht für andere Mandanten tätig wird.
Spezialfälle
Management- bzw. Geschäftsleitungsbetriebsstätte
Eine besondere Frage der Betriebsstättenbegründung in fremden bzw. nicht-unternehmenseigenen Räumlichkeiten stellt der Fall dar, in dem Geschäftsleitungsaufgaben durch eine Managementgesellschaft ausgeführt werden. Gründe für die Beauftragung einer Managementgesellschaft können unterschiedlich gelagert sein, z.Bsp. regulatorische Gründe oder aber die Schaffung wirtschaftlicher Anreize für Manager. In seinem umstrittenen sog. „Private-Equity-Urteil“ vom 24.8.2011 – I R 46/10 – qualifiziert der BFH Räumlichkeiten dann als eigene Betriebsstätten, wenn es sich hierbei um solche einer eingeschalteten Managementgesellschaft handelt und hierüber kein vertraglich eingeräumtes eigenes Nutzungsrecht besteht. Dass dazu ausschließlich die Räumlichkeiten und das Personal der eingeschalteten Managementgesellschaft genutzt werden, sei unbeachtlich. Vielmehr ist den Entscheidungsgründen folgend ausschlaggebend gewesen, dass „die Managementgesellschaft mittels der vertraglichen Überantwortung von Aufgaben und dadurch mittels eines entsprechenden sachlichen und personellen ,Apparats‘ in der Lage war, ihrer unternehmerischen Tätigkeit ‚operativ‘ nachzugehen, und dass sie infolgedessen Zugriff in Gestalt einer Verfügungsmacht über die fraglichen Räumlichkeiten hatte. Dieses Urteil steht allerdings teilweise im Widerspruch zu früheren Urteilen des BFH, sodass es hier sehr genau auf eine Einzelfallbetrachtung ankommt.
Home Office als Betriebsstätte
Die Frage der Betriebsstättenbegründung in fremden Räumlichkeiten umfasst auch die Fragestellung, ob das Home-Office und damit die Privatwohnung eines Arbeitnehmers Betriebsstätte eines Unternehmens sein kann oder ob keine ausreichende Verfügungsmacht über diese „fremden Räumlichkeiten“ besteht. Diese Fragestellung tritt häufig in Verbindung mit der Frage der Begründung einer Vertreterbetriebsstätte auf, wenn diese z. Bsp. abkommensrechtlich mangels Abschlussvollmacht oder mangels Vertretereigenschaft eines Organs der Gesellschaft abgelehnt wird. Diese Frage kann jedoch auch dann auftreten, wenn festgestellt wird, dass die Geschäftsleitung an eine bestimmte Person gekoppelt ist, die überwiegend oder vollständig von ihrem Home-Office aus arbeitet und damit die Privatwohnung als Ort der Leitung des Unternehmens anzusehen ist.
Shop-in-Shop Systeme
Shop-in-Shop Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass mehrere Hersteller ihre Waren (z.Bsp. Textilien, Kosmetik, aber auch Lebensmittel) in jeweils eigenen und abgegrenzten Bereichen in den Verkaufsräumen eines Kaufhauses anbieten. Dabei sind unterschiedliche Formen der Kooperation möglich, die alle jeweils unterschiedliche Folgen für die Frage der Betriebsstättenbegründung haben. Folgende Abstufungen der Intensität der Verzahnung lassen sich in der Praxis beobachten:
(1) Der Hersteller betreibt eigene Räumlichkeiten in einem abgetrennten Raum (z.Bsp. Ladengeschäfte in Shopping-Malls, Bäckereifachgeschäfte in Supermärkten);
(2) der Hersteller bietet seine Waren in einer optisch abgetrennten Ecke an, die er nach seinem Konzept optisch gestaltet hat und dort auch eigenes, als solches erkennbares Verkaufspersonal beschäftigt;
(3) der Hersteller bietet seine Waren in den Regalen des Kaufhauses an und der Hinweis auf den Hersteller erfolgt lediglich durch ein Markenschild und ggf. ein Wandplakat.
Nach der Rechtsprechung des BFH vom 3.2.1993 – I R 80-81/91 – können sowohl Gebäude als auch einzelne Räume innerhalb eines Gebäudes Geschäftseinrichtungen sein, wenn sie nur geeignet sind, Grundlage einer Unternehmenstätigkeit zu sein. Damit ist ein Shop-in-Shop Systems grundsätzlich als Betriebsstätte geeignet. Die Fallgruppe (1) stellt eine Betriebsstätte dar, da sämtliche Kriterien der Betriebsstättendefinition (insbesondere auch die Verfügungsmacht) erfüllt sind. Daraus folgt aber auch, dass der Hersteller zumindest in der Fallgruppe (3) mangels eigener Geschäftseinrichtung keine Betriebsstätte begründen kann. Die genaue Abgrenzung zwischen den Fallgruppen (2) und (3) ist fliessend und bedarf einer genaueren Einzelfallprüfung.
Room-, Arbeitsplatz- bzw. Desksharing
Die Bereithaltung und Einrichtung von Büroräumlichkeiten ist kostenintensiv und lohnt sich für die Unternehmen nur bei entsprechender Auslastung. In der Praxis haben sich für verschiedene Berufszweige daher unterschiedliche Formen des sog „Roomsharings“ ergeben. Neben dieser unternehmensinternen Optimierung der Auslastung der Räumlichkeiten werden aber auch zunehmend Räumlichkeiten an verschiedene Unternehmer vermietet. Für Besprechungsräume oder Vortragssäle ist diese Form der Organisation etabliert. Darüber hinaus nimmt die Bedeutung einer dauerhaft verfügbaren Räumlichkeit als „Aushängeschild“ immer weiter ab. Diese Funktion übernimmt nunmehr nahezu ausschliesslich der entsprechende Internetauftritt des Unternehmens.
Das Finanzgericht Baden-Württemberg stellte im Rahmen seiner Urteilsbegründung in der Entscheidung vom 19.12.2008 – 3 V 2830/07 – insbesondere darauf ab, dass die in einer Betriebsstätte ausgeübte Tätigkeit eine gewisse Bindung zur Geschäftseinrichtung aufweisen müsse und dies regelmässig ab einer Zeitspanne von sechs Monaten zu bejahen ist. Darüber hinaus sei jedoch auch erforderlich, dass die Geschäftseinrichtung dem Unternehmen regelmässig bzw. gewöhnlich zur Verfügung steht. Entscheidend wäre somit, ob sie „auch während seiner Abwesenheit dazu bestimmt sei, der jeweiligen Berufstätigkeit zu dienen. Dies sei jedoch gerade „nicht der Fall, wenn die Geschäftseinrichtung während der Abwesenheit des selbstständig Tätigen der gewerblichen oder freien Tätigkeit eines anderen Unternehmens zuzuordnen ist.
Das Finanzgericht bezieht sich auf ein Urteil des BFH, in dem der Unternehmer eindeutig die Zeitspanne von sechs Monaten nicht überschritten hatte. Daher sind die im Urteil des BFH aufgestellten Grundsätze nicht uneingeschränkt übertragbar, wenn der Unternehmer über mehrere Jahre hinweg das Arbeitsplatzsharing betreibt. Es darf daher bezweifelt werden, ob das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg von der Finanzverwaltung geteilt wird. Es besteht auch trotz weiterer Nutzungsberechtigter in diesen Fällen ein hohes Risiko der Betriebsstättenbegründung.
Fazit
Die obigen Ausführungen haben gezeigt, dass sich bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung in fremden Räumen grundsätzlich in den unterschiedlichsten Fallgestaltungen die Frage der Begründung einer mit ertragsteuerlichen Folgen verbundenen Dienstleistungsbetriebsstätte stellen kann. Grenzüberschreitend tätige Unternehmen sehen sich daher zurzeit einem nicht unerheblichen Betriebsstättenrisiko ausgesetzt und sollten die Frage vor jedem Schritt über die Grenze prüfen. Hierbei steht Ihnen Rechtsanwalt Rolf Lüpke gerne unterstützend zur Seite.
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