Unternehmen sichern die Wettbewerbsfähigkeit und Stellung am Markt ihrer ausländischen Tochtergesellschaften meistens ab, indem sie ihnen wesentliche Kompetenzen und Know-how durch die Muttergesellschaft über Dienstleistungen (z. Bsp. konzerninterne Technik- oder Managementberatung) zur Verfügung stellen. Diese Dienstleistungen werden dann durch Mitarbeiter der Muttergesellschaft direkt vor Ort bei der ausländischen Tochtergesellschaft für eine bestimmte Zeit erbracht. Häufig zahlt die ausländische Tochtergesellschaft für diese Dienstleistung eine Vergütung an die Muttergesellschaft. Diese Form der Dienstleistungserbringung zwischen verbundenen Unternehmen kann unerwartete Steuerfolgen sowohl auf Seiten des Arbeitnehmers als auch bei der ihn entsendenden Muttergesellschaft auslösen. Um diese Risiken zu vermeiden, soll nachfolgend die steuerrechtliche Praxis zwischen der Schweiz und Deutschland dargestellt werden.
Art. 15 DBA Schweiz-Deutschland („183-Tage-Klausel“)
Bezieht ein Arbeitnehmer Arbeitslohn für unselbständige Arbeit, die er ausserhalb seines Ansässigkeitsstaats (z. Bsp. Schweiz) ausübt, sind die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 15 des Doppelbesteuerungsabkommens Schweiz-Deutschland (DBA) erfüllt. Danach darf grundsätzlich der Tätigkeitsstaat die Vergütung besteuern, die der Arbeitnehmer für in diesem Staat ausgeübte Arbeit bezieht. Als Ausnahme zu diesem Grundsatz regelt Absatz 2 der Vorschrift, dass der Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers die Vergütung besteuern kann,
- wenn sich der Arbeitnehmer im Tätigkeitsstaat nicht länger als 183 Tage (vorübergehend) aufhält und
- die Vergütung von einem oder für einen Arbeitgeber gezahlt wird, der nicht im Tätigkeitsstaat ansässig ist, und
- die Vergütung nicht von einer Betriebsstätte getragen wird, die der Arbeitgeber im Tätigkeitsstaat hat.
Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen und werden als sog. „183-Tage-Klausel“ bezeichnet.
Wirtschaftlicher Arbeitgeberbegriff
Hält sich der Arbeitnehmer im Tätigkeitsstaat nur vorübergehend auf und hat der Arbeitgeber dort keine Betriebsstätte, ist somit für die Zuordnung des Besteuerungsrechts entscheidend, ob ein Arbeitgeber die Vergütung für den Arbeitnehmer zahlt, der nicht im Tätigkeitsstaat ansässig ist.
Der wirtschaftliche Arbeitgeberbegriff verlangt, dass der Arbeitnehmer im aufnehmenden Unternehmen im Tätigkeitsstaat eingegliedert ist. Zusätzlich zur Eingliederung des Arbeitnehmers in das Unternehmen im Tätigkeitsstaat muss dieses Unternehmen die Vergütung für den Arbeitnehmer zahlen. Der im Tätigkeitsstaat ansässige Arbeitgeber zahlt die Vergütung für den Arbeitnehmer, wenn er sie an diesen auszahlt, aber auch dann, wenn ein anderes Unternehmen (z. Bsp. die Muttergesellschaft im Heimatstaat des Arbeitnehmers) für das Unternehmen im Tätigkeitsstaat in Vorlage tritt, die Vergütung für den Arbeitnehmer jedoch an dieses Unternehmen im Tätigkeitsstaat weiterbelastet.
Von einer Weiterbelastung ist auszugehen, wenn sich die Berechnung des Entgelts konkret auf die an den Arbeitnehmer gezahlte Vergütung bezieht und somit der Entgeltberechnung rechnerisch – nur – die Arbeitszeit des Arbeitnehmers zugrunde liegt. Hier stellt das Entgelt nach dem Veranlassungsprinzip originären Aufwand aus der Tätigkeit des Arbeitnehmers bei dem Unternehmen im Tätigkeitsstaat dar, der von dem formalen Arbeitgeber ohne Gewinnaufschlag oder mit einem prozentualen Gewinnaufschlag auf den sich aus der Arbeitszeit ergebenden Betrag zur Erstattung durch das Unternehmen im Tätigkeitsstaat an dieses weiterbelastet wird.
Kriterien der deutschen Finanzverwaltung und Rechtsprechung
Zuletzt hat sich zu dieser Frage das Finanzgericht Baden-Württemberg (FG) in seinem Urteil vom 26.7.2013 – 5 K 4110/10 – geäussert. Die Ausführungen des FG zur Auslegung des Ausdrucks „Arbeitgeber“ im Sinn des wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriffs entsprechen der Rechtsprechung des deutschen Bundesfinanzhofes (BFH) und den Empfehlungen der OECD im Musterkommentar zu Art. 15 OECD-MA. Nach den durch die Rechtsprechung des BFH herausgearbeiteten Kriterien sei die deutsche Tochtergesellschaft, in welcher der Arbeitnehmer als Angestellter einer österreichischen Muttergesellschaft vorübergehend als Entsendeter tätig war, als wirtschaftlicher Arbeitgeber zu betrachten. Die deutsche Tochtergesellschaft habe die Vergütung des Arbeitnehmers wirtschaftlich getragen,
- weil sie der ausländischen Muttergesellschaft den anteiligen auf die Tätigkeit im Inland entfallenden Arbeitslohn ohne Gewinnaufschlag erstattete.
- Zudem sei der Arbeitnehmer in die Projektorganisation und insoweit auch in den Arbeitsablauf bei der deutschen Tochtergesellschaft eingebunden und
- im Interesse der deutschen Tochtergesellschaft tätig gewesen, die den Projektauftrag nur mit dem Einsatz des Arbeitnehmers habe erfüllen können.
Dagegen sei unbeachtlich, dass die ausländische Muttergesellschaft auf der Grundlage des fortbestehenden Arbeitsvertrags übergeordnete Weisungsrechte gegenüber dem Arbeitnehmer hatte und berechtigt war, den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers im Rahmen des Projekts vorzeitig zu beenden. Somit seien die Voraussetzungen der 183-Tage-Klausel nicht erfüllt und der Tätigkeitsstaat Deutschland dürfe die Vergütung für dort ausgeübte Arbeit ungeachtet des nur vorübergehenden Aufenthalts des Arbeitnehmers besteuern.
Praxis des Steueramtes Zürich in der Schweiz
Auch in der Schweiz hat z. Bsp. das Kantonale Steueramt Zürich im Informationsblatt zur faktischen Arbeitgeberschaft vom 1.7.2011 entsprechende Kriterien für den wirtschaftlichen Arbeitgeberbegriff aufgestellt. Das Vorliegen einer faktischen Arbeitgeberschaft ist danach zu bejahen, wenn die Arbeitsleistungen vorübergehend nicht der Unternehmung geschuldet sind, mit welcher der Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde, sondern einer andern Unternehmung im Konzern. Für diese Würdigung können folgende Kriterien hilfreich sein:
- Stellt die Art der erbrachten Leistung einen integralen Bestandteil der Geschäftstätigkeit der schweizerischen Unternehmung dar?
- Trägt die schweizerische Unternehmung die Verantwortung und das Risiko für die Leistung des entsandten Mitarbeitenden (oder trägt die ausländische Gesellschaft eine Gewährleistungspflicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsergebnis)?
- Übt die schweizerische Unternehmung die Weisungshoheit aus?
- In welchem Umfang erfolgt eine Eingliederung in die Betriebsorganisation der schweizerischen Unternehmung (z.B. Führung der Geschäftseinrichtung, Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten und Arbeitsmitteln, Entscheide über Art und Umfang der täglichen Arbeit des entsandten Mitarbeitenden)?
- Trägt effektiv die schweizerische Unternehmung die Lohnkosten (Weiterbelastung 1:1, Weiterbelastung mit mark-up von zum Beispiel 5%, Drittpreis mit Discount oder normaler Drittpreis)?
Fazit
Bei einer Arbeitnehmerentsendung zwischen verbundenen Unternehmen ist grundsätzlich die Erbringung einer Dienstleistung durch den Einsatz von Mitarbeitern des entsendenden Unternehmens im Tätigkeitsstaat möglich. Es muss aber geprüft werden, ob der Arbeitnehmer im Interesse des entsendenden oder im Interesse des aufnehmenden verbundenen Unternehmens tätig ist. Mit dieser Entscheidung sind die Kriterien der Unternehmensintegration und des Zahlens der Vergütung vorgegeben. Arbeitet der Arbeitnehmer im Interesse des entsendenden Unternehmens im Tätigkeitsstaat kann der Ansässigkeitsstaat des Arbeitnehmers die Vergütung besteuern, andernfalls kann die Vergütung nur im Tätigkeitsstaat besteuert werden, weil das dort ansässige aufnehmende Unternehmen als wirtschaftlicher Arbeitgeber zu betrachten ist.
Zusätzlich muss das entsendende Unternehmen vermeiden, durch die erbrachte Dienstleistung des entsendeten Arbeitnehmers eine eigene Steuerpflicht im Tätigkeitsstaat auszulösen. Dies kann geschehen, indem eine eigene feste Geschäftseinrichtung, welche dem entsendeten Unternehmen ständig zur Verfügung steht begründet wird (Betriebsstätte). Zum Beispiel kann eine derartige Betriebsstätte schon durch ein Büro im Unternehmen der ausländischen Tochtergesellschaft ausgelöst werden, welches dem Mitarbeiter zu ständigen Verfügung steht. Auch die Vollmacht für die entsendende Muttergesellschaft im Sitzstaat der Tochtergesellschaft Verkaufsverträge für die Produkte der Muttergesellschaft abzuschliessen („ständiger Vertreter“) kann eine Steuerpflicht für diese Erträge im Ausland bewirken.
Der Beitrag soll auf die steuerlichen Stolpersteine hinweisen. Jede grenzüberschreitende Tätigkeit von Mitarbeitern ist von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich ausgestaltet, sodass es auf den Einzelfall ankommt. Für eine diesbezügliche Beratung und für weitere Informationen steht Ihnen Rechtsanwalt Rolf Lüpke gerne zur Verfügung. Er informiert und berät Sie auch auf allen anderen Gebieten des Wirtschafts- und Steuerrechts.
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