Grenzenlos Recht Rolf Lüpke Rechtsanwalt MAES

Mandantenbrief

Die Europäische Kommission hat am 9.4.2014 ein Massnahmenpaket im Gesellschaftsrecht und Corporate Governance veröffentlicht. Im Steuerrecht hat sie am 28. Mai 2014 den Abschlussbericht einer hochrangigen Expertengruppe zum Thema „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“ erhalten. Nachfolgend sollen beide Projekte kurz vorgestellt werden. 

1. Massnahmenpaket der Europäischen Kommission zum Gesellschaftsrecht und Corporate Governance 

Dieses Paket umfasst folgende Vorhaben: 

Entwurf einer Richtlinie zur Abänderung von Richtlinie 2007/36/ EG (Aktionärsrechterichtlinie)

Mit einer Änderungsrichtlinie zur Aktionärsrechterichtlinie (AktRRL-E) aus dem Jahre 2007 beabsichtigt die Europäische Kommission eine Reihe von Massnahmen im europäischen Gesellschaftsrecht zu verankern, die für börsennotierte Unternehmen zu einer verbesserten längerfristigen Einbeziehung von Aktionären und erhöhter Transparenz zwischen den betroffenen Unternehmen und deren Aktionären beitragen. Im Einzelnen umfassen die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie folgende Inhalte:

  • Mitspracherechte der Aktionäre bei der Vergütung der Unternehmensleitung („say on pay“), Art. 9a und 9b AktRRL-E;
  • Mitspracherechte der Aktionäre bei Geschäften mit nahestehenden Unternehmen und Personen („related parties“), Art. 9c AktRRL-E;
  • Identifizierung von Aktionären; Übermittlung von Informationen an Aktionäre; erleichterte Ausübung von Aktionärsrechten, Kap. Ia mit Art. 3a bis 3c AktRRL-E;
  • Erhöhte Transparenz bei institutionellen Anlegern, bei Vermögensverwaltern sowie bei Beratern für Stimmrechtsausübung („proxy advisors“), Kap. Ib mit Art. 3d bis 3i AktRRL-E.

Entwurf einer Richtlinie zur Schaffung einer europäischen Ein-Mann-GmbH („Societas Unius Personae“- SUP)

KMU sehen sich heutzutage mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert, die sie in der Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten im Binnenmarkt behindern. Die gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen machen es für sie häufig kostspielig und schwierig, grenzüberschreitend tätig zu werden. Nur wenige KMU (2 %) investieren im Ausland und gründen Tochterunternehmen im Ausland. 
 Der Vorschlag für eine Richtlinie über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter zielt darauf ab, diese Hindernisse zu beseitigen, indem einheitliche Anforderungen an die Gründung von Unternehmen mit einem einzigen Anteilseigner festgelegt werden. Damit würde das aufwendige Verfahren zur Eintragung von Tochtergesellschaften entfallen und den KMU ein EU-weites Tätigwerden erleichtert. 
Die Ein-Personen-Gesellschaft („Societas Unius Personae“ – SUP) soll eine haftungsbeschränkte Gesellschaft mit nur einem Gesellschafter sein, deren rechtliche Grundlagen sich in erster Linie aus der Richtlinie, im Übrigen aus dem jeweiligen nationalen Recht ergeben. Damit soll den Akteuren des Wirtschaftslebens eine EU-weit vergleichbare Gesellschaftsform vor allem zur Gründung ausländischer Tochtergesellschaften angeboten werden. Nach diesem Konzept wird es 28 Varianten der SUP geben, da die konkrete Ausgestaltung der Gesellschaft von den nationalen Umsetzungsgesetzen abhängt, die in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union zu erlassen sind. Dabei kann sich der Gründer einer SUP das für ihn massgebliche Rechtssystem aussuchen, weil er den (formalen) Satzungssitz beliebig auswählen kann, nachdem keine Aktivitäten am Satzungssitz entfaltet werden müssen. 
 Nach der neuen Richtlinie soll die Registrierung einer SUP im Online-Verfahren binnen dreier Werktage erfolgen können. Anders als etwa bei der deutschen GmbH muss bei der Gründung der SUP kein Mindestkapital nachgewiesen werden. Gleichwohl wäre die Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Ein hinreichender Gläubigerschutz soll dadurch erreicht werden, dass Gewinne der SUP nur dann ausgeschüttet werden dürfen, wenn die Geschäftsführung schriftlich versichert, dass ein die Verbindlichkeit deckendes Gesellschaftsvermögen vorhanden ist (sog. Solvenzbescheinigung und Bilanztest). 
 Kernpunkte des Vorschlags sind: 

  • Die Mitgliedstaaten müssen im nationalen Recht eine Gesellschaftsrechtsform für Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter vorsehen, für die EU-weit einheitliche Anforderungen gelten und die die gemeinsame Bezeichnung „Societas Unius Personae“ (SUP) trägt.
  • Die Mitgliedstaaten müssen eine direkte Online-Eintragung von SUP zulassen, so dass Unternehmensgründer sich zu diesem Zweck nicht ins Land der Eintragung begeben müssen.
  • Es wird eine Vorlage für eine EU-weit einheitliche Satzung festgelegt und in allen EU-Sprachen bereitgestellt, die sämtliche für den Betrieb einer Einpersonengesellschaft mit beschränkter Haftung notwendigen Angaben enthält.
  • Das Mindestkapital für die Errichtung einer SUP beträgt 1 EUR.

Empfehlung der Europäischen Kommission zu Comply-or-explain. 

Mit der Verabschiedung dieser Empfehlung am 27.3.2014 will die Europäische Kommission auf wahrgenommene Schwächen hinsichtlich der Berichterstattung zu Corporate-Governance-Sachverhalten reagieren. Zielsetzung der 7 -seitigen Kommissionsempfehlung ist die qualitativ hochwertigere Berichterstattung zu solchen Sachverhalten bzw. die umfassende und detaillierte Begründung im Falle einer fehlenden Berichterstattung zu bestimmten Aspekten. 
 Die Kommissionsempfehlung erläutert keine konkreten Inhalte der Erklärung zur Unternehmensführung nach Art. 20 der EU-Rechnungslegungsrichtlinie. Es werden vielmehr nur allgemeine Grundsätze vorgegeben. Nach Abschnitt II der Empfehlung soll die Berichterstattung ausreichend klar, akkurat und umfassend sein, um Anlegern und anderen Stakeholdern ein gutes Verständnis dafür zu vermitteln, wie das Unternehmen geführt wird. Dabei soll auf die unternehmensspezifische Situation und Charakteristika Bezug genommen werden. Beispielhaft werden die Grösse, Gesellschaftsstruktur und Eigentumsverhältnisse genannt. Auch wird die regelmässige Veröffentlichung der Corporate Governance-Angaben auf der Website des Unternehmens empfohlen. 
 Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der qualitativen Beschreibung von Abweichungen von einem Corporate Governance Kodex, die in Abschnitt III der Empfehlung behandelt wird. In Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach Art. 20 der EU-Rechnungslegungsrichtlinie sollen Unternehmen klar und sichtlich erkennbar jede Abweichung von einer spezifischen Empfehlung des Kodex benennen.
 Das Regelungsinstrument einer Kommissionsempfehlung ist jedoch nicht bindend, so dass die betroffenen Unternehmen zur Einhaltung dieser Kommissionsempfehlung nicht verpflichtet sind. Es besteht jedoch die Erwartungshaltung seitens der Europäischen Kommission, dass die Kommissionsempfehlung von einzelnen EU-Mitgliedstaaten mittels nationaler Massnahmen umgesetzt wird. Über die getroffenen Massnahmen sollen die EU-Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Kommission zwölf Monate nach der Veröffentlichung der Kommissionsempfehlung, d.h. im April2015, berichten. 

Mitteilung der Kommission zur langfristigen Finanzierung der europäischen Wirtschaft 

Die Mitteilung der Europäischen Kommission zur langfristigen Finanzierung der europäischen Wirtschaft ist am 27.3.2014 als Paket mit einer Mitteilung zum Crowdfunding und einem Richtlinienvorschlag zur betrieblichen Altersversorgung (EbAV-II) veröffentlicht worden. Die Mitteilung stellt einen Beitrag zur EU-Wachstumsstrategie nach der Finanzkrise dar, die nach Ansicht der Europäischen Kommission einer langfristigen Finanzierung bedarf. Hierbei sollen Massnahmen im Vordergrund stehen, die der starken Abhängigkeit der Realwirtschaft von Banken entgegenwirken, deren Finanzierungsmöglichkeiten infolge der Finanzkrise eingeschränkt wurden. Im Mittelpunkt der Mitteilung steht die langfristige Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) sowie von Infrastrukturprojekten. 
 Der Mitteilung ist ein Grünbuch zur Langfristfinanzierung der europäischen Wirtschaft im März 2013 vorangegangen, welchem eine öffentliche Stakeholderkonsultation folgte. Die Mitteilung zeigt eine Reihe konkreter Massnahmen zur Langfristfinanzierung auf, bei denen es auch um Aspekte der Corporate Governance und der Rechnungslegung der zu finanzierenden Unternehmen geht. Primär konzentriert sich die Mitteilung jedoch auf Massnahmen, die aus systemischer Sicht die Bereitstellung von Finanzierungsmitteln begünstigen sollen. Hierbei geht es um die Mobilisierung von langfristigen Finanzierungsmitteln bei Banken, Versicherungsunternehmen, Pensionsfonds sowie privaten Sparern und die bessere Nutzung von öffentlichen Finanzierungsmitteln bei Förderbanken und Exporthilfen. Es werden Verbesserungen im Bereich der europäischen Finanzmärkte im Bereich der Wertpapiermärkte, der Verbriefung, der gedeckten Schuldverschreibungen und der Privatplatzierungen ins Auge gefasst. Schließlich werden auch spezielle Vorhaben im Bereich der KMU-Finanzierung sowie zu Infrastrukturprojekten angekündigt. 

2. Besteuerung der digitalen Wirtschaft 

 Das Internet und moderne Kommunikationsformen haben nicht nur grosse Teile der Wirtschaft verändert, sondern auch das Steuerrecht vor neue Herausforderungen gestellt. Die Schwierigkeiten beginnen bei der Umsatzsteuer, die bislang nicht durchgängig die systemkonforme Besteuerung am Verbrauchsort sicherstellen kann. Während die harmonisierte EU-Mehrwertsteuer ab dem 1. 1. 2015 sämtliche elektronisch erbrachten Dienstleistungen am Wohnort des Verbrauchers erfassen wird, befinden sich andere Länder noch in der Experimentierphase oder führen jetzt erstmals eine Registrierungspflicht für ausländische Anbieter ein. Im Ertragsteuerrecht lässt sich durch geschickte Gestaltungsmassnahmen sogar eine sog. „internationale Keinmalbesteuerung“ erreichen. Die EU-Kommission untersucht zu Zeit, ob Vorzugssysteme für Lizenz- und Patentboxen sowie die Erteilung von verbindlichen Auskünften durch nationale Steuerbehörden an einzelne Unternehmen gegen das Verbot stattlicher Beilhilfen gemäss Art 107 Abs. 1 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) verstossen. Im Zentrum der Untersuchung stehen Irland, die Niederlande, Belgien und Luxemburg. 
 Die EU-Kommission hat am 28. 5. 2014 den Abschlussbericht einer hochrangigen Expertengruppe zum Thema „Besteuerung der digitalen Wirtschaft“ erhalten (MEMO/13/1042). In dem Bericht werden Steuerfragen behandelt, die die digitale Wirtschaft im weitesten Sinn betreffen, indirekte Steuern (Mehrwertsteuer) und direkte Steuern (Unternehmensbesteuerung) sowie Fragen allgemeiner Art, um festzustellen, wie durch die Steuerpolitik die Chancen, die die digitale Wirtschaft bietet, optimiert werden können. Die wichtigsten Ergebnisse lauten: 

  • Die digitale Wirtschaft bedarf keiner gesonderten Steuerregelung. Die derzeitigen Bestimmungen sind ggf. anzupassen.
  • Grenzüberschreitende Geschäftstätigkeiten werden durch die Digitalisierung vereinfacht. Wichtig sind die Beseitigung von Steuerhemmnissen und die Schaffung eines unternehmensfreundlicheren Umfelds durch neutrale, vereinfachte und koordinierte Steuervorschriften.
  • Die bevorstehende Umstellung auf eine auf dem Bestimmungslandprinzip beruhende Mehrwertsteuerregelung für digitale Dienstleistungen sowie die Vereinfachung, die die kleine einzige Anlaufstelle für die Unternehmen bedeutet, werden begrüsst (s. IP/13/1004). Es wird empfohlen, diese Regelungen künftig auf alle Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen (B2C) auszudehnen.
  • Die Gruppe empfiehlt, die Mehrwertssteuerbefreiung von Kleinsendungen aus Nicht-EU-Ländern abzuschaffen. Unterstützend sollten eine einzige Anlaufstelle und eine beschleunigte Zollabfertigung vorgesehen werden.
  • Im Bereich der Unternehmensbesteuerung ist das BEPS-Projekt („Base Erosion and Profit Shifting“) von G20 und OECD grundlegend für die weltweite Bekämpfung von Steuervermeidung und aggressiver Steuerplanung. Es wird nachdrücklich empfohlen, dass die Mitgliedstaaten eine gemeinsame Haltung einnehmen. Vorrangige Bereiche des BEPS-Projekts für die EU sind die Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs, die Überarbeitung der Verrechnungspreisvorschriften und die Überprüfung der Konzepte zur Definition und Anwendung der steuerlichen Präsenz.
  • Die Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB, s. IP/11/319) bietet der EU die Gelegenheit, sich mit neuen internationalen Standards (etwa Gewinnaufteilungsmethoden) zu befassen und in der EU weitere Vereinfachungen zu erreichen.
  • Langfristig könnten auch grundlegendere Reformen des Steuersystems geprüft werden, etwa eine auf dem Bestimmungslandprinzip basierende Körperschaftsteuer.

 Auch auf Ebene der OECD hat der Fiskalausschuss eine separate Arbeitsgruppe „Digital Economy“ eingerichtet, die voraussichtlich im September diesen Jahres ihren Abschlussbericht vorlegen wird. Ein bereits veröffentlichter Diskussionsentwurf identifiziert in einem ersten Schritt typische Gewinnverlagerungsprobleme der Digital Economy und verweist bezüglich der Lösung auf die übrigen OECD-Maßnahmen zur BEPS-Bekämpfung. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Informations- und Telekommunikationstechnologie Einzug in sämtliche Branchen gehalten hat. Die OECD wie die EU auch unternehmen nun Versuch, den geografischen Ort der Wertschöpfung und der Einkünfteentstehung im internationalen Konzern zu bestimmen und hieraus Lösungsvorschläge zu entwickeln. Der OECD-Diskussionsentwurf fordert insoweit nicht nur die Beseitigung hybrider Gesellschaften, sondern auch die Einführung einer neuen Kategorie passiver Einkünfte aus dem Versandhandel mit digitalen Gütern und Dienstleistungen, die besonders mobil sind und künftig einer Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen sollen. Er lässt aber eine Ausnahme für niedrig besteuerte Vertriebsgesellschaften zu, die über eigenes Personal verfügen und einen „wesentlichen Wertschöpfungsbeitrag“ in Bezug auf die verkauften Güter und Dienstleistungen erbringen. Es bleibt abzuwarten, in welche inhaltlichen steuerpolitischen Konzepte die Berichte einfliessen werden. 
 Bei Rückfragen und für weitere Informationen steht Ihnen Rechtsanwalt Rolf Lüpke gerne zur Verfügung. Er informiert und berät Sie auch auf allen anderen Gebieten des Europäischen Wirtschafts- und Steuerrechts. 
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