Grenzenlos Recht Rolf Lüpke Rechtsanwalt MAES

Mandantenbrief

Grenzüberschreitende Erwerbstätigkeit gehört heute in Europa und weltweit zum beruflichen Alltag. Seit Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens (FZA) zwischen der Europäischen Gemeinschaft (EG) und der Schweiz am 1. Juni 2002 regeln die EU-Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 und Nr. 987/2009 die Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit in Europa. Sie ersetzen die Verordnungen (EWG) 1408/71 und 574/72. Gegenüber den EFTA-Staaten (Island, Liechtenstein und Norwegen) gelten weiterhin noch die bisherigen Verordnungen.
Bisher waren Arbeitnehmer und Selbständige bei Erwerbstätigkeit in mehreren Staaten in der Regel dem Sozialversicherungsrecht ihres Wohnstaates unterstellt. Dabei waren weder der Tätigkeitsgrad im Wohnstaat noch die Anzahl und der Sitz der Arbeitgeber relevant. Seit 1. April 2012 hängt die Versicherungsunterstellung massgeblich davon ab, ob ein wesentlicher Teil der Erwerbstätigkeit im Wohnstaat ausgeübt wird. Doppelunterstellungen oder andere Sondervorschriften sind nicht mehr möglich. Wegen der grossen Zahl grenzüberschreitender Beschäftigungsverhältnisse soll nachfolgend die Behandlung häufiger Fallkonstellationen kurz dargestellt werden.

Unselbständige Tätigkeit in mehreren Staaten mit mind. 25% Erwerbstätigkeit im Wohnsitzstaat

Für denselben Arbeitgeber in mehreren Staaten beschäftigte Arbeitnehmer müssen mindestens 25 % ihrer Erwerbstätigkeit im Wohnstaat ausüben. Damit bleiben sie dem Sozialversicherungsrecht ihres Wohnstaates unterstellt. 

Unselbständige Tätigkeit in mehreren Staaten mit weniger als 25% Erwerbstätigkeit im Wohnsitzstaat

Mit der Verordnung (EU) Nr. 465/2012 sind hierzu am 28.6.2012 Änderungsvorschriften innerhalb der EU für Personen in Kraft getreten, die gewöhnlich in 2 oder mehr Mitgliedstaaten bei mindestens 2 Arbeitgebern mit Sitz in den verschiedenen Staaten eine Beschäftigung ausüben. Im Verhältnis zur Schweiz soll diese Verordnung voraussichtlich im Jahre 2014 in Kraft treten. Verhandlungen laufen. Wenn der Arbeitnehmer im Wohnsitzstaat keinen wesentlichen Teil seiner Erwerbstätigkeit ausübt gilt:

  • Wer weniger als 25 % im Wohnsitzstaat erwerbstätig ist, wird den Rechtsvorschriften des Staates unterstellt, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat (Artikel 13 Abs. 1 Buchst. b Ziffer i VO (EG) 883/04 in der Fassung Artikel 1 der VO 465/2012).
  • Das gilt auch, wenn der Arbeitnehmer in diesem Staat bei 2 Arbeitgebern beschäftigt ist (Artikel 13 Abs. 1 Buchst. b Ziffer ii VO (EG) 883/04 in der Fassung Artikel 1 der VO 465/2012).
  • Ebenso unterstehen Arbeitnehmer, die bei mehreren Arbeitgebern beschäftigt sind, die in 2 Mitgliedstaaten ansässig sind, von denen einer der Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers ist, den Rechtsvorschriften am Sitz des Arbeitgebers ausserhalb des Wohnsitzstaates (Artikel 13 Abs. 1 Buchst. b Ziffer iii VO (EG) 883/04 in der Fassung Artikel 1 der VO 465/2012). Voraussetzung ist, dass der wesentliche Teil der Erwerbstätigkeit nicht im Wohnsitzstaat ausgeübt wird. 
  • Ist der Arbeitnehmer für mehrere Arbeitgeber tätig, die in 2 Mitgliedstaaten ansässig sind, von denen keiner der Wohnsitzstaat des Arbeitnehmers ist, finden weiterhin die Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaates Anwendung (Artikel 13 Abs. 1 Buchst. b Ziffer iv VO (EG) 883/04 in der Fassung Artikel 1 der VO 465/2012). 
  • Bei Flugbesatzungen gilt, dass sie im Land der Heimatbasis beitragspflichtig und leistungsberechtigt sind (Artikel 11 Abs. V VO (EG) 883/04 in der Fassung Artikel 1 der VO 465/2012). 

Bislang galten für betroffene Arbeitnehmer in der Sozialversicherung stets die Rechtsvorschriften ihres Wohnsitzstaates.
Wichtig für betroffene Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang, dass für die Festlegung des anzuwendenden Rechts derjenige Staat zuständig ist, in dem der Arbeitnehmer wohnt. In der Schweiz ist das das Bundesamt für Sozialversicherung in Bern. In Deutschland ist das die Deutsche Verbindungsstelle Ausland (DVKA) beim GKV-Spitzenverband.

Übergangsrecht

Die Neuregelung wird in vielen Sachverhalten dazu führen, dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates gelten als bislang. Die gute Nachricht dabei ist: Es gibt eine enorm lange laufende Übergangsregelung. Längstens bis zum 27. 6.2022 bleiben die bisher geltenden Rechtsvorschriften anwendbar. Das gilt immer dann, wenn sich der jeweilige Sachverhalt nicht ändert. Besteht Interesse an einer Änderung, können die betroffenen Arbeitnehmer bei dem für ihren Wohnsitzstaat zuständigen Träger beantragen, dass die Übergangsregelung nicht greift.

Selbständige Erwerbstätigkeit in mehreren Staaten

In mehreren Staaten erwerbstätige Selbständige müssen mindestens 25 % ihrer Erwerbstätigkeit in ihrem Wohnsitzstaat ausüben. Damit bleiben sie dem Sozialversicherungsrecht ihres Wohnsitzstaates unterstellt. Wer im Wohnsitzstaat weniger als 25% erwerbstätig ist, wird den Rechtsvorschriften des Staates unterstellt, in dem sich der Mittelpunkt der selbständigen Erwerbstätigkeit befindet.
Gleichzeitig unselbständige und selbständige Tätigkeit in mehreren Staaten
Die Vorschriften für die Versicherungsunterstellung aus unselbständiger Tätigkeit gehen vor. Es ist auch keine Doppelunterstellung mehr möglich. Wer also gleichzeitig als Arbeitnehmer und als Selbständiger in mehreren Staaten tätig ist, wird ausschliesslich den Rechtsvorschriften des Staates unterstellt, in der die unselbständige Tätigkeit erfolgt.
Für Rückfragen und ergänzende Angaben steht Ihnen Rechtsanwalt Rolf Lüpke jederzeit gerne zur Verfügung.

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